WIP-Limits auf der Eingangsspalte zu etablieren scheint ein sehr schwieriges Problem zu sein. Es taucht jedenfalls immer wieder als solches auf. Warum eigentlich? Der Nutzen ist für den Kunden viel höher als erwartet. Häufig wagt der Dienstleister nicht den Schritt aus der Komfortzone. Damit verstolpert er aber den Nutzen sowohl für den Kunden als auch sich selbst.
Limitierung mit Kunden als Problem
Eine der häufigsten Fragen in meinen Schulungen kommt auf, wenn ich über die Limitierung der Eingangsspalte und ein Commitment- oder Replenishment-Meeting spreche. Sie lautet so oder ähnlich: „Mein Kunde überschwemmt mich mit Arbeit, fordert Transparenz. Er wird nie eine WIP-Limitierung auf der Eingangsspalte akzeptieren. Wie setze ich das trotzdem durch?“
In den meisten Fällen habe ich die Gruppe schon auf diese Frage vorbereitet. Noch fast am Anfang der Schulung weise ich auf das zweite Prinzip für Veränderungsmanagement der Kanban-Methode hin. Es heißt: „Schaffe eine gemeinsame Vereinbarung, dass Verbesserung durch evolutionäre Veränderung verfolgt wird.“ Sie sehen bestimmt schon jetzt, auf welchen Teil ich hinweise.
Gehen wir aber erst einmal genauer auf das Problem ein. Der Fragende beschäftigt sich hier erst einmal nur mit sich selbst. Dabei dreht sich doch bei der Kanban-Methode eigentlich fast alles um eine Verbesserung der Dienstleistung, die wir erbringen. Meist herrscht da kein Verständnis für die Unzufriedenheiten der Auftraggeber, eher eine genervte Geringschätzung. Genauso sehe ich auf der „Gegenseite“ selten ein wirklich gutes Verständnis für die Probleme des Dienstleisters. Es scheint häufig, als wäre es dem Auftraggeber egal – das ist schon eine Ansage, wenn eventuell das eigene Geschäft stark von diesem Dienstleister abhängt. Dabei ist ein beiderseitiges Verständnis so wichtig, um gemeinsam gestalten zu können!
WIP-Limitierung zum Nutzen des Kunden
Ich frage gerne zurück, ob dem ursprünglich Fragenden eigentlich klar ist, womit der Kunde denn unzufrieden sein könnte. Schließlich ist der Wunsch nach Transparenz häufig gefolgt von einem Wunsch nach Eingriff. Leider wissen die meisten Fragenden das gar nicht so genau – weil sie sich nicht ausreichend mit ihrem Kunden ausgetauscht und verständigt haben.
Jetzt könnte man meinen: Ok, ist erst einmal ein internes Problem, dass keine WIP-Limits auf die Eingangsspalte gelegt werden können. Aber nichts liegt ferner! Denn dadurch, dass wir alles akzeptieren, was der Kunde uns aufdrückt, nehmen wir ihm Optionen! Andersherum formuliert: Eine gute Dienstleistung führt selektierte Optionen schnell und präzise aus. Eine Dienstleistung, die einfach alles entgegennimmt und mehr oder minder parallel bearbeitet, wird sehr langsam werden. Dadurch kann es sein, dass Optionen Wert verlieren. Es ist keine Reaktion mehr auf den Markt möglich.
Wir vergeben also die Chance, dem Kunden eine bessere Dienstleistung bereit zu stellen – weil wir nicht glauben, eine gemeinsame Limitierung erzielen zu können.
Mit denen geht das nicht!
„Das bekommen wir bei [AutoherstellerX] nie durch. Die wollen ein fixes Lastenheft rausgeben. Die werden nie agil werden.“, sagte ein Mitarbeiter eines [ZulieferersY] in der Automobilbranche während eines Scrum-Trainings, das ich begleitete. Verständlich, oder? Schließlich ist die Automobilbranche in Deutschland nicht dafür bekannt, auf jeden Hype gleich aufzuspringen. Lieber etwas konservativer und mit etablierten Ingenieursmitteln vorwärts kommt, könnte man meinen. Es heisst ja auch „Vorsprung durch Technik.“ und nicht „Vorsprung durch schnellere Reaktion auf den Markt“ – oder so ähnlich.
Wie es der Zufall wollte, war ich ein paar Monate später bei [AutoherstellerX] und sprach mit ihnen über Agilität. Können Sie sich vorstellen, was die sagten? „Wir würden ja so gerne mal agiler arbeiten. Aber [ZuliefererY] will immer nur Lastenhefte. Die können doch gar nicht agil!“, bekam ich dort zu hören. Natürlich habe ich mit einem Schmunzeln die Beiden eingeladen, sich an einen Tisch zu setzen und sich voneinander und ihren Erwartungen und Bedürfnissen überraschen zu lassen.
Das ist auch schon eine der besten Lösungen, die ich Ihnen empfehlen kann. Sprechen Sie mal mit Ihren Kunden über Unzufriedenheiten, über Erwartungen und Bedürfnisse. Erarbeiten Sie gemeinsam, was dem Kunden nützt und was Sie dazu beitragen können.
Risiko und Serviceklassen
Meistens verstecken sich in der Aussage „alles, sofort“ sogar verschiedene Risiko- oder Geschwindigkeitsprofile. Es gibt also Dinge, die müssen unbedingt schnell fertig werden. Andere Dinge sind wichtig, haben aber eventuell etwas Zeit. Ich spreche hier nicht davon, dass sie ewig herumliegen dürfen. Aber sie sind halt nicht ganz so zeitkritisch, dass alles andere stehen und liegen gelassen wird. Kann der Kunde die Klasse, in die einzelne seiner Tickets fallen, bei Ihnen schon wählen? Falls nicht, ist es vielleicht sogar verständlich, warum vieles durchgeboxt wird. Vielleicht kann der Kunde es bisher auch noch nicht einmal selbst unterscheiden – weil er es bis jetzt selbst noch nicht weiß!?
Wenn alle Stricke reißen
Falls Ihre Kunden aber partout nicht mit Ihnen sprechen wollen und sich taub stellen, empfehle ich manchmal hinter vorgehaltener Hand den „Wartebereich-Cheat“. Dieser Trick funktioniert eigentlich genau so, wie Sie das eventuell heute schon machen. Nur wird die Wartezeit der einzelnen Tickets gesammelt und nach vorne verschoben. Dem Kunden bestätigen wir, dass die Bearbeitung angefangen wurde. Dann wartet das Ticket aber erst einmal darauf, in die WIP-limitierte Bearbeitung zu gehen. Sobald es dort hineingeht, wird es mit hoher Geschwindigkeit bearbeitet und dann sofort dem Kunden geliefert. Der Workflow ist also, vereinfacht: Ticket akzeptieren -> Warten auf Bearbeittung -> Bearbeiten -> Fertig.
Die Durchlaufzeit messen wir aber erst ab dem Punkt, wo der Commitment-Punkt eigentlich liegen sollte. Das ist meist eine kurze Liste der nächsten Tickets. Es ist nicht verkehrt, für jedes Ticket auch die Zeit ab der Akzeptanz zu messen, um später Zeitgewinne darzustellen.
Haben wir das für einige Tickets gemacht, kommt der Moment der Wahrheit: Wir sagen dem Kunden, dass wir getrickst haben! Er bekommt genau vorgestellt, was getan wurde. Natürlich darf er Feedback geben, ob sich für ihn etwas geändert hat. Dann können wir ihm eine limitierte Eingangsspalte vorstellen und aufzeigen, was das für einen Nutzen für ihn hat. Und den hat es eigentlich unbestreitbar.
Nutzen für den Kunden
Wir helfen durch die Limitierung dem Kunden, mit seinen wirtschaftlichen Risiken besser umzugehen. Im Gespräch mit ihm müssen wir diese Risiken natürlich erst einmal verstehen. Wenn wir das Risikomanagement aber unterstützen können, stärkt das normalerweise unsere Position beim Kunden. Das lohnt sich dann hoffentlich.
Im Fall des „Wartebereich-Cheats“ müssen wir einen kleinen Umweg gehen. Erst einmal müssen wir dem Kunden helfen, zu verstehen, dass er einen Nutzen davon hätte. Danach können wir ihm dann auch explizit durch Serviceklassen und WIP-Limits am Eingang helfen.
Achtung!
„Was ist denn, wenn der Kunde dann sieht, dass wir zu langsam sind oder er einen zu geringen Anteil der Kapazität bekommt?“ Vor dieser Frage habe ich in Schulungen immer ein bisschen Angst. Denn es gibt keine angenehme Antwort darauf.
Wenn man ehrlich ist, kann man auf der Hoffnung, nicht entdeckt zu werden, keine gute, vertrauensvolle Geschäftsbeziehung aufbauen. Da ist es eigentlich kein Wunder, wenn ein Kostendruck und Kontrollzwang entsteht.
Aber was ist denn, wenn der Kunde das sieht? Da hilft nur eines: Besser werden. Dafür haben wir aber auch noch ein paar Tricks im Ärmel, die ich gerne mit Ihnen teile.
FAZIT
WIP-Limits sind für Kunden keine Behinderung, sondern stellen für den Dienstleister eine Möglichkeit dar, die Kunden zu unterstützen. Damit sie den Nutzen daraus ziehen können, muss der Dienstleister die Ängste, Erwartungen und Bedürfnisse des Kunden aber ernst nehmen. Dafür muss er sie kennen lernen. Ein Gespräch auf Augenhöhe ist notwendig, um eine vertrauensvolle Geschäftsbeziehung zu vertiefen.
Manchmal muss der Dienstleister ein wenig tricksen, um die Möglichkeit zu bekommen, dem Kunden die Vorteile einer Limitierung der Eingangsspalte zu belegen. Das geschieht dann über eine interne Limitierung und ein Messen der Vorteile.