Steile These, oder? Warum hört man dann trotzdem immer wieder Menschen, die von „Kanban-Teams“ sprechen?
Insbesondere in der agilen Softwareentwicklung ist der Begriff Kanban zu einer Alternative zu Scrum geworden. Da Scrum teambasiert ist, ergibt es scheinbar auch Sinn, diesen Ansatz zu übertragen.
Die Abkürzung Kanban ist leider sehr ungenau. Gemeint ist aber meistens ein arbeitsflussbasiertes Vorgehen, bei dem Planungen ad hoc durchgeführt werden und vielleicht WIP-Limits eingeführt werden. Das ist nur ein ganz kleiner Ausschnitt dessen, was mit der Kanban-Methode wirklich möglich ist!
Team = Menschen, Ziel und Abhängigkeiten
Sehen wir uns doch einmal an, was ein wirkliches Team ausmacht.
Die wichtigste Bedingung für die Entstehung eines Teams ist ein gemeinsames Ziel. Das kann ein abstraktes Ziel sein, wie die Aussöhnung zwischen Deutschland und Polen. Sie endete auch in einem konkreten Ergebnis, bleibt aber ein abstraktes Ziel. Es kann aber auch von Anfang an ein konkretes Ergebnis bestehen, das erreicht werden soll. Zum Beispiel die Ausrottung von Polio. Die zweite Art von Zielen ist meiner Erfahrung nach die häufigste und auf jeden Fall die greifbarste Art.
Nun bildet sich aus einer Gruppe Menschen nur dann ein Team, wenn die Mitglieder einzeln das Ziel nicht erreichen können. Wir benötigen also insbesondere eine gegenseitige Abhängigkeit. Die Fähigkeiten der Gemeinschaft müssen größer sein als eines Individuums. Sie sollten sich allerdings hauptsächlich qualitativ ergänzen. Eine Gruppe aus Menschen, die alle sehr ähnliche Fähigkeiten besitzt und nur gemeinsam bzw. parallel einen großen Berg Arbeit erledigen können, tun sich meistens ein bisschen schwerer, ein Team zu bilden. Das Individuum würde das Ziel nämlich auch alleine erreichen – nur langsamer.
Anmerkung: Hier finden sich häufig auch teamähnliche Strukturen, weil sich dann meistens implizit weitere Ziele herausbildet, zum Beispiel „Gemeinsam gegen ‚die da oben‘“.
Nicht alles findet in Teams statt
Zurück zu unseren Kanban-Teams. In der Softwareentwicklung finden wir sehr häufig genau diese Konstellation vor: Eine Gruppe von Menschen, die ein gemeinsames, meist komplexes Ziel und sich ergänzende Fähigkeiten besitzen. Es ergibt Sinn, hier eine Teambildung zu erwarten.
Es gibt aber auch viele Situationen, in denen diese Voraussetzung nicht gegeben sind. Denken wir doch einmal an ein Call-Center. Hier haben wir eine Dienstleistung, bei der das gemeinsame Ziel nur sehr implizit gegeben ist. Gegenseitige Abhängigkeiten der Call-Center-Agenten existiert selten. In vielen Centern wird einfach einem Protokoll gefolgt.
Team, Kanban und ?
Sollten wir hier die Kanban-Methode anwenden? Nun, nicht zwangsläufig. Aber es wird eine Dienstleistung erbracht, die wir eventuell verbessern können. Das ist schon ein Indikator dafür, dass die Methode angemessen ist.
Ergibt es auch Sinn, diese Menschen in ein Teamkonstrukt zu pressen? Ein Kanban-Team zu formen? Ich glaube nicht! Die Vorbedingungen fehlen.
Trotzdem können wir insbesondere ein WIP-limitiertes System einführen, Warteschlangen modellieren und managen und über den Fluss der Arbeit nachdenken. Das ist bei den meisten anderen Dienstleistungen auch so. Um es noch einmal explizit zu machen: Wir benötigen kein Team, um ein Kanban-System einzuführen.
Natürlich muss unser Vorgehen zur Situation passen. Das klingt erst einmal trivial. Es ist aber herausfordernd, die eigene Ideologie fallen zu lassen und nur die Modelle, Vorgehensweisen und Frameworks zu nehmen, die zum Problem passen.
Kill it with fire
William Faulkner sagte über das Schreiben: „In writing, you must kill your darlings.“ – Wir müssen das Liebgewordene töten. Damit sind Muster, Denkweisen, Ideologien und Verhalten gemeint, die wir immer wieder gerne anwenden. Die sind meist unangemessen. Sie nerven den Leser. Sie bringen ihn nicht weiter.
„Das Team“ ist eines dieser Darlings. Werfen wir es weg und ersetzen wir es mit einem Konzept, das für die Situation angemessen ist. Vielleicht kommt bei dieser Neuerfindung ja auch etwas Ähnliches oder das Gleiche heraus. Riskieren wir es!
Fazit
Die Kanban-Methode kennt für sich kein Team. Stattdessen fokussiert sie uns auf die Dienstleistung, ihr Schnittstelle zum Kunden und die Erbringung der Leistung. Kann die Leistung nur durch mehrere Menschen gemeinsam erbracht werden, ergibt es Sinn, ein Team zu bilden. Schlussendlich ist die Fragestellung mit all ihren Facetten aber entscheidend, ob ein Team gebildet wird. Die Ideologie der Menschen, die das System gestalten, ist irrelevant.