Die Überlastung einzelner Fach- oder Technologie-Spezialisten ist in Unternehmen ein häufiger Grund, um etwas Neues wie die Kanban-Methode auszuprobieren. Aber einfach nur "Kanban machen" reicht nicht. Wir müssen die Situation auch aus einer wirtschaftlichen Perspektive betrachten, denn die Überlastung Einzelner ist nicht nur ein persönliches Problem.
Die Überlastung einzelner Mitarbeiter ist ein nicht untypisches Problem. Ich treffe es immer wieder und so ziemlich bei jedem Kunden. Meistens haben einzelne freiwillig oder nicht eine Wissensinsel geschaffen. Sie trifft häufig keine Schuld! Arbeit, die ihr Fach- oder Wissensgebiet betrifft, wird einfach immer wieder zu ihnen geschoben. Sie sind ja auch der Experte! Und je mehr Arbeit bei ihnen landet, desto mehr wissen sie über das Gebiet und desto schneller werden sie. Wenn dann neue Arbeit ankommt, landet sie zielsicher wieder bei diesem Kollegen – ein sich selbst verstärkender Ursache-Wirkungskreislauf.
Zwei Seiten: Nachhaltigkeit und Serviceorientierung
Das Problem ist gar nicht, dass es passiert. Oder das einzelne Mitarbeiter sich vielleicht gerne in einen Experten- oder Spezialistenstatus begeben. Das Problem hat zwei Seiten. Da ist zum einen schon mal das, was in der Überschrift dieses Artikels steht: die Überlastung der Mitarbeiter. Wenn wir sie oder ihn langfristig mit zu viel Arbeit bombardieren, wird diese Person irgendwann einfach nicht mehr können. Immer vor einem riesigen Berg unbearbeiteter Arbeit zu sitzen und nicht hinterher zu kommen, gleicht der Aufgabe von Sisyphos. Wenn dann noch der wirtschaftliche Druck dazu kommt, den wir gleich betrachten, wird es nur noch schlimmer. Denn häufig wird der Druck, der auf dem Unternehmen oder der Abteilung lastet, dann auf den einzelnen Mitarbeiter umgeleitet.
Sehen wir uns jetzt noch mal den wirtschaftlichen Faktor an. Eine überlastete Wissensinsel mit einem oder mehreren Mitarbeitern hat sehr ungünstige Auswirkungen auf unser Geschäft. Effektiv müssen sich die Kunden der Dienstleistung nach der Verfügbarkeit der Mitarbeiter richten. Die Servicequalität leidet also, wenn wir Mitarbeiter überlasten.
Situation kritisch betrachten und Gegenmaßnahmen ergreifen
So viel zum Problem, nun zur Lösung. Die ist leider nicht ganz trivial umzusetzen, auch wenn sie eigentlich sehr simpel ist. Die Komponenten sind: Abtrennen, messen, Plan machen, Engpass weiten.
Zu allererst ist es hilfreich zu wissen, mit welcher Art von Problem man sich denn herumschlägt. Dafür sollten wir wissen, welche Menge an Arbeit auf den überlasteten Mitarbeiter einprasselt. Dazu empfehle ich, diese Tickets so früh wie möglich zu identifizieren und als gesonderten Arbeitstypen zu modellieren. Eine einfache Unterscheidung mit einem etwas anderen Workflow reicht schon aus. Die Tickets sollen einfach identifizierbar bleiben. Sehr hilfreich ist es, den Workflow komplett WIP-limitiert zu halten. So gehen keine Informationen über die Kapazität verloren.
Für diese Trennung müssen wir sie so früh wie möglich erkennen können. Also benötigen wir gegebenenfalls schon vor dem Commitment-Punkt einen Arbeitsschritt, der die Tickets beurteilt. Das sollte unbedingt auch jemanden anderen passieren als die sowieso schon überlasteten Mitarbeiter!
Wenn wir die Tickets am Commitment-Punkt identifizieren können, benötigen wir noch den Durchsatz des Engpasses – also der überlasteten Mitarbeiter. Das können wir durch Messungen mit dem isolierten Workflow bewerkstelligen.
Natürlich können wir nur so viel akzeptieren wie durch die Mitarbeiter auch fertiggestellt werden kann. Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Hier müssen wir auf die Nachhaltigkeit achten und ggf. regulierend eingreifen.
Wissensverteilung als Gegenmaßnahme
Gehen wir davon aus, dass der Durchsatz, mit dem eine Dienstleistung nachhaltig betrieben werden kann, unter dem liegt, der als akzeptabel angesehen wird. Sonst wären die Mitarbeiter ja nicht überlastet. Wir müssen nun einen Plan entwickeln, wie der Durchsatz angehoben werden kann. Da kommt dann schnell der Ruf nach Wissensverteilung hoch. Das ist auch berechtigt. Aber wie schafft man das, ohne den Engpass weiter zu belasten? Und wie viel Wissensverteilung ist notwendig? Ich kenne Teams, in denen soll jeder alles können. Das ist für die Servicequalität zwar enorm – eine unglaubliche Liquidität – aber die Kosten dafür sind immens. Und das betrifft sowohl das Unternehmen als auch die Mitarbeiter!
Wir sollten uns also in unserem Plan auch Gedanken darüber machen, wie viel wir den Engpass entlasten können, wollen und sollten. Wie viele Tickets können nicht bearbeitet werden, wenn nachhaltig bearbeitet wird? Was bleibt sonst alles liegen? Welche Steigerung benötigen wir an welchem Ort? Und was wollen wir investieren?
Von null auf hundert!?
Nun, ganz ohne Reibungsverluste wird es wohl leider auch nicht funktionieren. Die Expertin oder der Experte sind ja gerade deshalb so wichtig, weil ihr Gebiet nicht trivial zu erlernen ist. Aber es gibt beispielsweise Muster, bei denen der Experte bei einigen Tickets nur noch als Berater, Coach oder Supervisor auftritt, während andere die Arbeit erledigen – er oder sie guckt dann vielleicht nur noch über die Schulter. Es gibt auch das Muster, wo nur noch gemeinsam an Tickets gearbeitet wird. Natürlich kann man sich auch weitere Experten einstellen. Wir sehen: Man lernt das, wofür ein Meister lange gebraucht hat, nicht in einem Zweitageskurs vollständig. Aber es gilt trotzdem, dass wir dem Gesamtsystem sowohl bei der Nachhaltigkeit als auch der Serviceorientierung, wenn wir dem Engpass auch nur 10% der Arbeit abnehmen. Das können vielleicht auch triviale Aufgaben sein, für die nur ein kleines bisschen Mehrwissen notwendig sind. Ich finde hier als Beispiel ganz passend, an einen Herzchirurgen zu denken. Der Spezialist bereitet auch nicht jede Operation vor und nährt den Patienten danach zu – er kümmert sich nur darum, was das wirkliche Expertentum benötigt.
Folgeerscheinungen
Implementieren wir diesen Plan zur Behebung der Überlast, sollte als erstes die Last auf die einzelnen Mitarbeiter sinken. Das ist für die meisten erst einmal unglaublich befreiend. An diesem Punkt können wir mit wenigen Handgriffen eines Kanban-Systems Menschen aus einer „missbräuchlichen Arbeitsumgebung“ befreien. Die Nachhaltigkeit steigt – aber dann zu Kosten der Servicequalität. Die adressieren wir als nächstes und steigern mit unseren Änderungen die Fähigkeit der Dienstleistung. Wir tun das an dem Punkt, wo ein Mangel herrscht, und nicht generell, weil es gerade „in“ ist.
Fazit
Persönliche WIP-Limits mit beispielsweise Avataren helfen uns nicht sonderlich weiter. Sie perpetuieren den Status quo eher noch. Erst wenn wir die Probleme bei Nachhaltigkeit UND Service-Orientierung anerkennen, können wir einen Schritt vorwärts machen. Wir identifizieren die Punkte, an denen Mitarbeiter überlastet sind und die Servicequalität leidet, und erarbeiten dann konkrete Maßnahmen. Diese Maßnahmen betrachten wir aus der Brille der Dienstleistung und setzen voraus, dass die Nachhaltigkeit die Grundlage für unsere Arbeit sein muss.