Die heutige Folge dreht sich um die Visualisierung – die erste Praktik der Kanban-Methode.
Nur, damit wir das kurz einmal geklärt haben: Die Kanban-Methode hat ja so eine Unterscheidung zwischen generellen und spezifischen Praktiken. Generelle Praktiken bilden quasi das allgemeine Gerüst, die spezifischen Praktiken sind die generellen Praktiken, adaptiert auf einen bestimmten Kontext.
Die generelle Praktik Nummer eins heißt: "Visualisiere!" Mehr nicht. Nunja. Schön. Sketchnotes oder was jetzt? Da kommt die spezifische Praktik nun rein, die sagt nämlich: "Visualisiere den Arbeitsfluss der Dienstleistungen." Da sind wir doch schon mal etwas näher an einer guten Aussage, was wir nun tun sollen.
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In der ersten Folge habe ich das Kanban-Board erwähnt. Das ist der Weg, um genau diese erste spezifische Praktik zu implementieren. Und warum wir das tun sollen, ist eigentlich auch ganz einfach: Das Kanban-Board ist nämlich ein Analyse- und Warn-Werkteug. Wir wollen mehr oder minder in Echtzeit den Fluss der Arbeit beobachten können, weil wir das bei unseren nicht-greifbaren Aufträgen sonst nicht verfolgen können. Wir wollen Probleme, Blockaden, Staus und auch den Füllstand der einzelnen Stationen im Prozess und insbesondere der Wartezustände, der Puffer sehen. Dann können wir nämlich aktiv eingreifen und den Fluss der Arbeit unterstützen! Das ist übrigens die dritte Praktik der Kanban-Methode: "Manage den Fluss innerhalb der Workflows und über sie hinweg."
Klar, die Visualisierung ermöglicht auch eine längerfristige Beobachtung. Wir können also auch wiederkehrende Muster erkennen und die dann durch Systemänderung ausräumen.
Ich muss hier allerdings auch einmal ganz klar sagen, was das Kanban-Board nicht ist: Nämlich ein Werkzeug, um die Auslastung der Mitarbeitenden zu steuern. Ich sehe immer wieder, dass das versucht wird und es eigentlich immer in die Hose geht. Klar – die Mitarbeitenden sind vielleicht besser ausgelastet, sie fühlen sich aber eigentlich immer überwacht und kontrolliert. Und wie viel Lust die dann haben, so ein Kontrolletti-Board zu pflegen, sollte auch jedem klar sein. Eigentlich...
Darüber hinaus geht eine sehr hohe Auslastung auch meist zu Lasten der Dienstleistuingsqualität: Die Aufträge dauern länger, weil sie auf Zeitslots beim Mitarbeitenden warten. Und wenn dann gleich mehrere betroffen sind, potenziert sich das Problem.
Die spezifische Praktik sagt ja: „Visualisiere den Arbeitsfluss der Dienstleistung und die Arbeit darin.“ Es ist also schon explizit vorgegeben, was visualisiert werden soll und was nicht.
Jetzt ist die Kanban-Community nicht unbedingt dafür bekannt, dass sie urteilend sagt, dass man etwas unbedingt tun oder lassen sollte. Stattdessen gibt es für den Kontext angemessene Praktiken und eben nicht angemessene Praktiken. In einem Kontext, in dem noch nicht so viel Wert auf den ganzheitlichen Fluß gelegt wird, kann es durchaus hilfreich und sinnvoll sein, einzelne Aufgaben oder Aufgabenteile zur Koordination der Mitarbeitenden zu visualisieren. Die Richtung, in die wir uns aber bewegen sollten, ist der Fokus auf die Aufträge, die wir durch die Dienstleistung ziehen. Also sollten wir nach Möglichkeit auch genau diese Aufträge mit ihrem gesamten Arbeitsfluss visualisieren. Wenn wir unser Augenmerk auf die Aufträge legen, kommen wir bezüglich unserer Kundenzufriedenheit wirklich weiter.
Im Optimalfall bilden wir den Fluss von Auftragsannahme bis zur Fertigstellung ab – falls wir den gesamten Arbeitsfluss auch unter unserer Kontrolle haben. Falls das nicht der Fall ist, bilden wir die Schnittstellen entweder als Wartezustände mit Abhängigkeit nach aussen ab. Oder wir gehen noch einen Schritt weiter und modellieren die Schnittstelle als gesonderte Dienstleistung – mit allem, was dazu gehört: Auftragsannahme und -erbringung.
Mein generelles Credo bei der Visualisierung ist: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Denn das erfordert ja alles auch Pflegearbeit, die Zeit und damit Geld kostet. So lange keine entsprechend wertvolle Information generiert wird, ist das Verschwendung. Wie wir zu dem abgebildeten Workflow kommen, besprechen wir in der nächsten Folge. Sorry, sieben Minuten sind kurz!
Die spezifische Praktik sagt, dass wir den Arbeitsfluss der Dienstleistung darin visualisieren sollen. Das ist auch gut und richtig, aber meiner Meinung nach geht das auch noch ein bisschen weiter. Denn Visualisierung ist ja nicht nur das Board, sondern auch das Sichtbarmachen anderer Dinge. Denn nur wenn wir sie sichtbar haben, können wir nicht greifbare Dinge auch begreifbar machen.
Ein Beispiel dazu, denn das wird immer wieder in Workshops gefragt: Wie gehen wir denn mit den Zwischenrufen um? Den berüchtigten "Kannst du mal?"-Anfragen? Kommen die aufs Board? Selbst wenn die nur fünf bis maximal dreissig Minuten benötigen?
Also erstmal: Ich würde sie in vielen Fällen nicht als einzelne Aufträge modellieren. Das ist jetzt natürlich keine generelle Antwort, aber meiner Erfahrung nach können wir die größtenteils erst mal aussen vor lassen. Aber vielleicht wollen wir Informationen darüber sammeln, wie viel Arbeitsvolumen denn da eigentlich auftritt. Und das ohne den Ticket-Verschieb-Overhead.
Meine Empfehlung bei so etwas ist dann fast immer, dass sich jeder Mitarbeitende erst einmal ein Post-It auf den Tisch zu legen und bei jeder "Kannst du mal?"-Anfrage einen Strich darauf machen. Am Ende des Tages werden diese Post-its beispielsweise neben dem Board gesammelt. Sinnvoll ist es hier auch, den Tag und den Mitarbeitenden drauf zu schreiben. Und am nächsten Tag gibt es dann für jeden oder jede ein neues Post-It. Wenn wir das sammeln, bekommen wir eine visuelle Repräsentation über die Arbeit, die da anfällt. Da können wir schon viel lernen: Volumen, Schwankungen, betroffene Mitarbeiter und so weiter. Wenn wir dann immer noch meinen, dass es ein Problem ist, können wir die Visualisierung verfeinern. Und eventuell irgendwann auch dazu übergehen, diese Anfragen als Tickets zu modellieren!
Also: Visualisierung ist eine der grundlegenden Praktiken der Kanban-Methode. Wir visualisieren den Fluss der Arbeit und die Arbeit in der Dienstleistung selbst. Dabei legen wir Wert auf den Fokus auf die Aufträge, nicht unbedingt die Unteraufgaben. Visualisierung bedeutet aber auch, noch anderes darzustellen. Und alles steht unter dem Credo: "So viel wie nötig, so wenig wie möglich."
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