Heute möchte ich an die letzte Folge anknüpfen. In der Folge "Visualisiere" habe ich über die Praktik des Visualisierens gesprochen, warum und wie und so weiter.
Die meisten Menschen können nachvollziehen, dass es super-hilfreich ist, wenn wir unsere nicht greifbaren Aufträge mal sichtbar machen. Mein Rat in der letzten Episode war, den gesamten Workflow von Auftragserteilung bis zur abschliessenden Erbringung zu visualisieren. Wie du zu einer Modellierung dieses Arbeitsflusses kommst, erfährst du in dieser Folge!
Lieber zuhören? Hier ist der Podcast:
In Schulungen und Einführung passiert es immer mal wieder, dass die modellierenden Mitarbeiter anfangen, sich zu überlegen, wie es denn eigentlich sein müsste. Sie überlegen sich quasi den besten Workflow – mal ganz losgelöst von der Realität. WIE MÜSSTE ES DENN SEIN, WENN MAN ES RICHTIG MACHT?
Das kann man schon machen, das Ergebnis wird aber eher so semi-gut sein. Denn es gibt meistens mehr oder weniger gute Gründe, warum dieser perfekte Workflow bis jetzt nicht existiert beziehungsweise nicht so gelebt wird. Mir fallen da so Dinge ein wie:
- Er ist zu aufwändig.
- Er ist kein Konsens
- Es gibt organisatorische Hindernisse
- der aktuelle Prozess ist ausreichend gut, hat aber ein paar Mängel.
Oder die Transition zum perfekten Prozess ist zu aufwändig!
Neben den Praktiken hat die Kanban-Methode ja auch noch Prinzipien. Da werde ich auch noch die eine oder andere Folge zu machen. Die Prinzipien sind unterteilt in Dienstleistungsprinzipien und Prinzipien für Veränderungsmanagement.
Das erste Prinzip für Veränderungsmanagement ist in diesem Kontext jetzt wichtig, denn es bringt eine Unterscheidung zu vielen anderen Methoden.
Das erste Prinzip – ich lasse ein bisschen was weg – lautet verkürzt:
Beginne mit dem, was du gerade tust, und verstehe existierende Prozesse, so wie sie gerade gelebt werden.
"Beginne mit dem, was du gerade tust" heißt natürlich: Nimm das Existierende. Und dann sollen wir diese existierenden Prozesse verstehen und sie dann auch modellieren. Warum? Weil wir sonst gar nicht feststellen können, was mit den alten Prozessen falsch läuft. Es ist ausserdem, und das ist noch wichtiger, einfacher, Konsens über den Status quo herzustellen als darüber, ob ein idealisierter Zustand alle Probleme löst!
Ich beharre also in dieser Modellierungsübung immer darauf, dass wir möglichst nah am existierenden Prozess bleiben.
Übrigens habe ich das früher eher locker gesehen und habe dann auch die Erfahrung gemacht, dass wir da entweder auf Widerstände stoßen. Oder eben dass die Prozesse an der Wand einfach gar nicht zur Realität passen und dann irgendwann wieder halbwegs mühsam verändert werden müssen. Dabei kann man sich das Leben eigentlich leichter machen.
Ein weiterer Punkt, den auch gerne viele falsch machen: Sie nehmen die verschiedenen verantwortlichen Personen oder Bereiche im Unternehmen – oder sogar technische Ressourcen – und schreiben einfach die Kette dieser Stationen auf. Da wissen wir zwar genau, bei wem sich ein Auftrag befindet, aber noch lange nicht, was damit geschehen soll. Wir müssen also einmal von den Personen zu den Arbeitsschritten abstrahieren. Wir stellen uns die Frage: Was passiert alles, damit ein Auftrag nach der Annahme bearbeitet wird?
Warum diese Abstraktion? Ich habe hier seit längerer Zeit ein Board an der Wand hängen, mit dem ich den Workflow von Workshop-Anfragen und -Aufträgen überwache. Da könnte jetzt sowas stehen wie: Auftragsannahme, dann wäre die nächste Station "Florian", dann Fertig. Ziemlich langweilig, ziemlich nichtssagend. Stattdessen habe ich: Vorgespräch durchführen, Warten auf Vorbereitung, dann vorbereiten. Dann kommt "bereit zur Durchführung", "diese Woche", "Nachbearbeitung" und "abrechnen". Wenn die Zahlung meiner Rechnung erfolgt ist, kann ich den Auftrag dann in die Fertig-Spalte ziehen.
An diesem Board kann ich übrigens sehen, wo sich bei mir die Aufträge eventuell stauen und ob ich Termine eher etwas später legen muss, weil ich sonst in eine zeitliche Bredouille komme. Du siehst: ich weiß genau, was passieren muss und ich kann Risiken in meinem Arbeitsablauf viel besser beobachten, als wenn ich nur die einzelnen Stationen beobachte!
Es ist nicht ganz einfach, da von Person zu Aktivität umzudenken. Ich weiss. Wir wollen ja aber den Arbeitsfluss der Aufträge managen und verbessern – da müssen wir uns angucken, was getan werden soll, nicht wer es tut.
Es gibt drei Techniken, die unterstützen können. Jetzt kommen Buzzwords: Hierarchische Dekomposition, Synthese aus den Daten und freie Analyse!
Bei der hierarchischen Dekomposition verfeinern wir von einem ganz allgemeinen Workflow immer feiner. So lange, bis wir zufrieden sind.
Man kann zum Beispiel mit zwei Zuständen anfangen: Nicht fertig und fertig. Dann stellen wir uns die Frage: Gibt es unterschiedliche Zustände von "Nicht fertig?" Genauso gehen wir bei "Fertig" vor. Bei "Nicht Fertig" gibt es vielleicht: "Warten auf Bearbeitung" und "In Bearbeitung". Die beiden nehmen wir dann noch mal auseinander und so weiter und so fort. Zum Detailgrad sage ich gleich noch mal was.
Für die Synthese aus den Daten benötigen wir unbedingt bereits existierende Daten. Wir brauchen also schon Aufträge, die abgearbeitet werden.Wir nehmen diese vielen, einzelnen Aufträge, die schon im System sind, und gruppieren sie zueinander.
Wir stellen uns immer wieder Fragen:
- "In wiefern ist dieser Auftrag weiter in der Bearbeitung als andere?"
- "Was wird hier gerade getan?"
- "Wo ist ein Unterschied zwischen diesen Aufträgen" und
- "Sind die Zustände dieser Aufträge ausreichend ähnlich?"
- "Stellen sie einfach unterschiedliche Fortschritte in einem einzelnen Arbeitsschritt dar?"
Wir gruppieren ähnliche Aufträge zueinander und bekommen dadurch Wolken von Aufträgen. Die sind dann in ähnlichen Bearbeitungszuständen. Die Wolken können wir dann in einem zweiten Schritt mit Grenzen zueinander und Namen versehen – fertig ist unser modellierter Arbeitsfluss. Ein Sanity-Check ist da aber durchaus noch mal angebracht. Da hilft die Frage: "Fehlt zwischen diesen Aktivitäten noch etwas?"
Das dritte Vorgehen ist das, was eigentlich am allermeisten gemacht wird. Wir nehmen uns einen Anfangszustand – also zum Beispiel den Punkt, ab dem wir den Auftrag explizit angenommen haben. Dann stellen wir uns immer wieder die Frage: "Wenn jetzt alles perfekt durchlaufen würde, was wäre der nächste Schritt?" So bekommen wir dann eine Kette von Aktivitäten, die unseren Arbeitsfluss darstellt. Wartezustände fügen wir dann in einem zweiten Schritt noch hinzu, falls wir sie noch nicht haben.
Es hat sich hier übrigens gezeigt, dass "Fertig"-Spalten nicht so hilfreich sind. Sie signalisieren, dass wir uns auf irgendwas halbfertigen schon ausruhen könnten. Aber wir wollen ja den gesamten Auftrag fertig bekommen. Also nicht "Vorbereitung fertig", sondern "bereit für Durchführung". Das gibt mehr Drive oder "Zug zum Tor", wie der Fußballer sagt.
Den Detailgrad dieser Schritte musst du ein bisschen für dich selbst herausfinden. Es lohnt sich meistens nicht, ständig aufzustehen, um eine Karte auf dem Kanban-Board weiterzuschieben. Insbesondere, wenn wir dadurch keine hilfreiche Information generieren. Und genauso wenig hilfreich sind Karten, die in einem Dauerzustand vergilben. Aber wie gesagt: das ist total kontextabhängig!
Ich empfehle, dass du dir erst einmal alle einzelnen Schritte überlegst. Dann erst Dinge zusammenziehen. Ganz besonders Sachen die eher ne halbe Stunde oder Stunde dauern und bei denen normalerweise auch keine Probleme auftauchen. Die kannst du mit dem Schritt davor oder dahinter zusammenfassen.
Diese Kurzaktivitäten können wir auch als Schritte modellieren, die auf dem Kanban-Board dann zwischen zwei Spalten stehen. Also zum Beispiel zwei Spalten wie "Warten auf Rechnungslegung" und "Warten auf Überweisung durch den Kunden." Und dazwischen liegt dann die Aktivität "Rechnung legen". Wichtig ist in diesem ja Beispiel, wie viele Aufträge noch keine Rechnung haben und bei wie vielen noch die Bezahlung fehlt. Beides Risiken, die wir beobachten wollen. Die Rechnungslegung selbst ist zu vernachlässigen.
Die drei Vorgehen kann man miteinander kombinieren, beziehungsweise sie unabhängig voneinander durchführen lassen und dann die Ergebnisse miteinander konsolidieren lassen. Da kann man sich dann ziemlich sicher sein, dass wenig vergessen wird.
Aber ehrlich gesagt: Das macht kaum einer.
Man kann ja fehlende oder überflüssige Dinge ja auch später im Workflow noch nachpflegen. Ich halte den Aufwand sonst für zu hoch. Da wir meistens auch noch mehr als einen Auftragstypen haben, ist es da sinnvoller, die Gruppe darüber zu unterteilen.
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