Das Thema heute ist das Delayed Commitment, also eine verzögerte Zusageentscheidung.
Delayed Commitment ist ein wirklich wichtiges Konzept bei Kanban, nicht nur ein Blabla-Buzzword. Schauen wir uns doch mal an, was es ist, warum wir das haben wollen und wie wir das erzeugen.
Lieber zuhören? Hier ist der Podcast:
Also. Ein Commitment ist eine Zusageentscheidung. Wenn wir eine Dienstleistung erbringen, geben wir an irgendeinem Punkt eine Zusage, dass wir den Auftrag annehmen und dann in angemessener Zeit bearbeiten und fertigstellen. Diese Zusage ist allerdings auch von der Auftraggeberseite zu leisten. Er oder sie gibt uns die Zusage, dass dieser Auftrag bearbeitet werden soll und im Normalfall keine Änderungen am Auftrag erfolgen oder etwas anderes auf einmal dringender wird oder der Auftrag ganz abgebrochen wird. Es ist ein bisschen so, wie beim Friseur aufspringen, als der den Kurzhaarschneider angesetzt hat und zu sagen, dass du jetzt doch lieber Dreadlocks haben willst. Und gefärbte Haare.
Wenn wir dieses Commitment abgeben, diese Zusage, sollten wir uns also schon ziemlich sicher sein über das, was als nächstes passiert. Wenn wir diese Zusage aber so lange verzögern, bis wir sie wirklich treffen können, haben wir ein Delayed, ein verzögertes Commitment. So einfach ist das.
Du kennst jetzt das delayed Commitment, aber warum sollten wir das überhaupt machen? Ist doch schön, zu wissen, was im Friseursalon in genau 5 Monaten, 3 Wochen, 2 Tagen und ... 3 Stunden passieren wird – inklusive Schnitt, Farbe und ob die Haare gewaschen werden oder nicht. Oder?
Naja, wenn der Friseurbesuch das wichtigste ist, was wir uns vorstellen können, oder der Frisierende so einen vollen Terminkalender hat, dass da die nächsten 6 Monate minutiös verplant sind, kann man sich das vorstellen. Aber was genau passiert mit dem Plan, wenn mal was dazwischen kommt? Ach, wir haben ja schon über Push- und Pull-Systeme gesprochen, das war in der dritten Folge. Kurze Zusammenfassung: Wir müssen einen neuen Plan machen, das ist teuer und aufwändig.
Ich habe es eben schon gesagt: Ein delayed Commitment ermöglicht es uns, eine Entscheidung so spät wie möglich zu treffen. Damit erhöht sich unsere sogenannte Optionalität. Wir haben verschiedene Handlungswege, die sich uns bieten. Das nennt man Option. Mit erhöhter Optionalität können wir dann situativ besser reagieren, als wenn wir nur einen fest definierten Handlungsstrang haben.
Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich mit meiner damaligen Freundin mal von Marburg in Hessen ins Allgäu gefahren bin. Ist schon ein bisschen her. Das sieht man daran, dass ich die Route bei Google Maps geplant und dann ausgedruckt habe. Nen Atlas hatten wir nicht dabei, nur die Wegbeschreibung. Und rate mal, wer dann von Stau zu Stau gefahren ist?
Natürlich hätten wir über Landstraßen ausweichen können, aber damals hatten wir keine mobile Navigation dabei und auch eben keinen Straßenatlas. Wir hätten die Optionen zwar theoretisch gehabt, aber unsere Fähigkeit, die Optionen zu ziehen war trotzdem niedrig.
Um das Ganze noch mal auf den Business-Kontext zu bringen: Ein Delayed Commitment steigert unsere Möglichkeiten, die für die aktuelle Projekt-, Markt-, Unternehmenssituation angemessenen Aufträge in eine Dienstleistung zu geben.
"Aber!", bekomme ich häufig zu hören. "Aber was ist denn, wenn ich die Optionalität gar nicht brauche?? Kann ich dann mein Projekt komplett committen?" Wie heisst es so schön: Klar, kannste machen. Ist dann halt kacke. Also eventuell. Das Problem mit Commitments ist ja, dass wir da jedesmal eine Wette eingehen, dass wir das Richtige ausgewählt haben, mit dem wir uns festlegen. Je größer der Zeithorizont und die Menge des Commitments, desto größer ist das Risiko, dass wir die Wette verlieren. Ist nicht so schön. Das Risiko ist natürlich deshalb größer, weil wir einfach mögliche Veränderungen nicht so weit in der Zukunft vorhersehen können.
Ein Beispiel dazu: Ein Kunde von mir hat mal ein riesiges Projekt angenommen. Sein Kunde, ein Kundenkonsortium wollte schon alles vorher festlegen. Wegen der Kostenabschätzung und so. Okay. Im Auftrag wurde dann eben auch vermerkt, dass eine Blackberry-App entwickelt werden sollte. Als das Projekt dann wirklich gestartet wurde, war Blackberry für den Endkundenmarkt quasi irrelevant. Und das Kundenkonsortium versuchte, irgendwie diese Spezifikation wieder herauszubekommen. Und das war kein irrelevanter Teil des Auftrags!
Spannend finde ich hieran: Es spricht noch nicht mal etwas dagegen, im Geiste alles schon fest durchzuplanen und quasi ein Vor-Commitment zu machen. Wir können es also machen, müssen es aber nicht, wenn wir ein delayed Commitment machen können. Wir könnten also trotzdem situativ reagieren. Wie toll, oder?!
Also, so eine verzögerte Zusage ist eine gute Sache, so viel steht fest. Sie erhöht unsere Optionalität und wir müssen deswegen immer nur ganz kleine Wetten auf die Zukunft abschließen. Wie wir dahin kommen, sehen wir uns jetzt an, denn das ist wirklich einfach!
In der zweiten Folge – warum wir WIP-Limits verwenden – habe ich es eigentlich schon erklärt: Mit WIP-Limits!
Wir reduzieren einfach die Menge paralleler Arbeit, die sich im Prozess befindet. Wir akzeptieren weniger Arbeit vorne und lassen die Wartezustände auf ein optimiertes Maß heruntersinken.
Damit wartet die Arbeit vor dem Zusagepunkt und nicht im System. Sonst wäre sie ja auch schon zugesagt und wir wären ein Commitment eingegangen.
Wegen der WIP-Optimierung, also wegen der geringeren Wartezeiten im System, laufen die Aufträge dann auch schneller durch die Dienstleistung. Die Wartezeit bleibt also insgesamt womöglich gleich, sie verlagert sich nur an einen Punkt, wo wir noch keine Zusage getroffen haben.
Dass die Wartezeit _gleich_ bleibt, ist übrigens der schlechteste Fall, der eintreten kann! Es gibt eine Menge besserer Fälle. Denn wenn wir vor der Dienstleistung selektieren, welche Aufträge als nächstes bearbeitet werden, bleiben die Sachen liegen, die noch nicht so dringend sind. Oder die vielleicht doch nicht so wichtig sind. Oder über die wir uns noch nicht so ganz klar sind. Da können eine ganze Menge Aufträge sein, die dann gar nicht bearbeitet werden und damit auch nicht den Fluss verstopfen können. Und das aus dem einfachen Grund, dass sie einfach nicht selektiert werden. Das bedeutet, wir werden insgesamt viel, viel schneller – besonders bezüglich der wichtigen Dinge.
Vor der Dienstleistung haben wir dann also eine ganze Reihe von Aufträgen, die wir noch nicht beiderseitig zugesagt haben. Sie sind noch Optionen – selbst wenn wir sie nicht so ansehen können, was auch manchmal passiert. "Hier ist nichts optional!", bekomme ich da häufig zu hören. Es ist dann hilfreich, die einfach "Selektionskandidaten" zu nennen. Das ist politisch manchmal einfacher umzusetzen. Und das ist ja eines der Standardvorgehen bei Kanban: Wir versuchen nicht, den Widerstand zu brechen, sondern ihn durch Angebote zu umgehen.
Zusammenfassend können wir also sagen: Eine verzögerte Zusageentscheidung entsteht dadurch, dass wir die Arbeit vor der Dienstleistung warten lassen statt darin. Dadurch ist die Zeit im Fluss durch die Dienstleistung selbst deutlich kürzer. Wir holen dort also die Wartezeit wieder auf. Wir haben aber vor der Zusage eine erhöhte Optionalität und können die aktuell richtige, wichtigen Aufträge selektieren und ins Arbeitssystem bringen. Damit können wir auf die Umgebung und den aktuellen Zustand unseres Systems reagieren.
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