Viele Kanban-Implementierungen werden bzw. wurden als Grassroots-Bewegung angestoßen. Sie enden, sobald der erste Wert geschaffen wird – was bedeutet, dass der erste, größere Schmerz genommen wird. Aber soll das so sein? Die Zielgruppe der Methode ist nämlich eigentlich eine andere...
Gerade habe ich mit meinen Kollegen eine Diskussion über die Zielgruppe Kanbans geführt. Im Grunde waren wir uns aber einig.
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Was wir alle drei beobachtet haben: Kanban wurde in der Vergangenheit gerne als weniger schmerzhafte Variante zu Scrum verwendet – quasi als Ausweichmethode, wenn die Regeln, die Scrum auferlegt, zu rigide waren. Und wenn wir ehrlich sind, sind diese Rahmenbedingungen von Sprints und regelmäßigen Meetings und Rollen tatsächlich nicht immer für jeden Kontext anwendbar.
Die Tyrannei der Timebox
Ein floworientiertes Vorgehen hilft uns auch, wenn wir uns unnötig eingeengt durch die Timebox fühlen: Schätzen und Schneiden von Backlog Items auf eine Größe, die in 2-4 Wochen zu schaffen sind, ist schwierig – insbesondere, wenn dabei trotzdem ein wahrnehmbarer Wert geschaffen werden soll. Und schlussendlich: das Wort "Commitment", das schon 2011 an der wichtigen Stelle aus dem Scrum Guide gestrichen wurde! In der initialen Version der Definition Scrums gab das Entwicklung das Commitment ab, das Sprint Backlog nach Möglichkeit vollständig zu liefern. Aus gutem Grund wurde das Wort gestrichen und durch Vorhersage ersetzt. Leider ist das fast 10 Jahre später noch nicht bei allen angekommen. Und so geben landein, landaus Entwickler noch ihr Versprechen, einen bestimmten Umfang zu liefern – gerne mehr als machbar – und werden daran gemessen. Ich hatte schon diverse Manager in der Beratung, die quasi erwarteten, dass die Entwickler Überstunden schoben, wenn sie sich "übercommittet" hatten. Das Gegenteil, ein Unter-Commitment, durfte aber natürlich nicht auftreten, dann wären die "Ressourcen ja nicht in Vollauslastung..."
Die Erlösung
All diese Gründe ließen Kanban als attraktive Variante erscheinen, aber nicht nur in Scrum-Umfeldern: Endlich war die Befreiung aus mißbräuchlichen Arbeitsbeziehungen da! Selbst, wenn die Prozesse und Rahmenwerke mal mit den besten Intentionen eingeführt wurden.
Ist Kanban also eine Methode für die Mitarbeitenden? Ja... aber!
Die Befreiung aus mißbräuchlichen Arbeitsbeziehungen ist Teil eines der drei grundlegenden Ziele der Kanban-Methode: Nachhaltigkeit, Service-Orientierung und Überlebensfähigkeit.
Es gibt einen Nebeneffekt des Fokus nur auf die Nachhaltigkeit: Wir kommen mit relativ wenigen Teilen der Methode aus. Häufig ist eine Visualisierung, ein persönliches WIP-Limit und die Akzeptanz, dass Dinge manchmal aufgrund der Systemleistungsfähigkeiter länger als bis zu 4 Wochen benötigen, reichen schon aus! Das ist an sich kein Problem – je weniger Overhead wir haben, desto besser.
Stabile Leistung
Aber Kanban kann ja eigentlich mehr! Das Ziel der Service-Orientierung verspricht uns, dass wir antworten können, wenn wir danach gefragt werden, wie lange ein Auftrag dauern wird. Und dass wir schneller werden und konsistent eine hohe Qualität liefern können. Das sind aber typischerweise keine Fragen, die wir einzelnen Mitarbeitenden im Team stellen. Entweder, wenn wir selbstorganisierte und -gesteuerte Teams haben, fragen wir das gesamte Team. Oder, häufiger, fragen wir Team- oder Abteilungsleitende. Da es häufig auch in ihrer Verantwortlichkeit liegt, für die langfristige Gesundheit der Kollegen und Kolleginnen zu sorgen, betrifft sie auch das Ziel der Nachhaltigkeit.
Survival of the fittest
Bleibt insgesamt also noch ein Ziel: Die Überlebensfähigkeit. Das klingt immer viel, viel größer als es eigentlich gemeint ist. Wir sind hier ja nicht bei Bear Grylls und für uns lebensgefährdenden Situationen.
Nichtsdestotrotz hat das Ziel der Überlebensfähigkeit eine Daseinsberechtigung. Es bedeutet, dass wir die Dienstleistung, die wir erbringen, in der einen oder anderen Form langfristig zum Wohle unserer Kunden, Stakeholder und Mitarbeitenden erbringen. Dieses Ziel bedeutet also auch, dass Kanban uns mit den Fähigkeiten ausstatten sollte, die Dienstleistung an die Erwartungen und Bedürfnisse unserer Kunden anzupassen.
Fazit
Wer ist nun der Adressierte dieses Ziels? Da sind natürlich Unternehmensbesitzende und -führende zu nennen, aber ganz besonders die Führungskraft im mittleren Management. Das Ziel lässt sich nämlich sowohl im ganzheitlichen, marktorientierten Kontext betrachten als auch im rein organisationsinternen. Sie alle werden dafür verantwortlich gehalten, die Dienstleistungen an den Bedarf anzupassen, um eine langfristige Überlebensfähigkeit des Unternehmens zu sichern.
Wir haben also die drei Ziele der Kanban-Methode: Nachhaltigkeit, Service-Orientierung und Überlebensfähigkeit. Sie alle werden in den meisten Unternehmen durch existierende Führungskräfte verfolgt. Selten ist es so, dass diese Aufgaben in "Bottom-Up"-Organisationen rein den Mitarbeitenden in der Wertschöpfung zugeordnet werden. Insofern ist die Zielgruppe der Kanban-Methode klar: Führungskräfte – im Top- und im mittleren Management und das ganz besonders auch im Marketing, Controlling, dem Personalmanagement. Kurz gesagt: Eigentlich allen Dienstleistungen.
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